Moderner Dienstleister ohne Gewinnmaximierung

Frühe Investition in Fitnessund Gerätepark zahlt sich aus. Heute nutzt fast die Hälfte aller Mitglieder diese Angebote. Sorgen bereiten der Clubführung dagegen die Ganztagsschulen.
VON GORDON PäSCHEL
JEVER – Es ist kein Zufall, dass die Geschäftsstelle des MTV Jever unmittelbar an das vereinseigene Fitnessstudio angrenzt. Direkt neben dem Büro von Jan Unger, dem 40-jährigen Geschäftsführer des Vereins, der an seinem Laptop rasch noch ein paar Zahlen eintippt, werden Gewichte gestemmt und finden Kurse wie Indoor-Cycling statt. Die Anordnung der Räumlichkeiten sagt auch etwas über die Prioritäten, die im zweitgrößten Sportverein des Landkreises Friesland gesetzt werden. Die Turnund Sporthallen, in denen gepritscht, geprellt und gejubelt wird, befinden sich jedenfalls einige Autominuten von hier entfernt.
„Rund 45 Prozent unserer 2100 Vereinsmitglieder nutzen gesundheitssportorientierte Angebote“, rechnet Jan Unger vor. Die meisten von ihnen kommen dafür in den Fitnessund Gerätepark „top fit“, den der MTV Jever schon Ende der 1990er-Jahre für 1,7 Millionen D-Mark hatte bauen lassen. Anfangs erntete die damals noch ausschließlich ehrenamtlich tätige Vereinsführung Stirnrunzeln für ihre gewagte Investition. Mittlerweile steht fest, dass diese Entscheidung schon aus wirtschaftlicher Sicht das Beste war, was dem 150 Jahre alten Mehrspartenverein passieren konnte. Verglichen mit vielen anderen Clubs hatte der MTV in den vergangenen zehn Jahren deutlich weniger Aderlass zu beklagen. Zuletzt verzeichnete er sogar wieder leichte Zugewinne. Es sind Kursangebote wie „Zumba“, „präventive Wirbelsäulengymnastik“ und „Bodybalance“, die dafür sorgen, ist Jan Unger überzeugt. In den klassischen Sportspielsparten sei es dagegen schwieriger, neue Mitglieder zu gewinnen.
Probleme, neue Mitarbeiter zu gewinnen
Aus dem Blick verlieren dürfe man diesen elementa-
ren Teil des Vereinslebens nicht, sagt der diplomierte Sportwissenschaftler, der seit April 2011 hauptamtlich die Geschäftsstelle des MTV Jever leitet. Den Fortbestand aber sichere die Ausrichtung als moderner Sportund Gesundheitsdienstleister, der sich „Leistungsangebote mit hoher Qualität auf die Fahne“ geschrieben habe. In Strategieplanungen überlegt der Geschäftsführer daher gemeinsam mit dem ehrenamtlichen Vorstand, wie die wichtigsten Herausforderungen der Zukunft gelöst werden könnten: Mitarbeiterbindung und Qualifizierung. Auch in Jever fällt es zunehmend schwerer, neue und gute übungsleiter zu finden, die sich ehrenamtlich engagieren können und wollen.
Im Hintergrund schwingt immer auch die Frage der Finanzierung mit: „Wir müssen schauen, welche Sparte welche Kosten verursacht.“ Aus diesem Grund zahlen Mitglieder im MTV schon seit längerem einen allgemeinen Grundbeitrag und entsprechend ihrer Sparte etwaige Zuschläge. Als Beispiel nennt Jan Unger die Sportart Handball. Die Aufwendungen für den Spielbetrieb einer leistungsorientierten Jugendmannschaft summieren sich hier schnell auf mehrere tausend Euro jährlich für Trainer, Schiedsrichter und Fahrtkosten, rechnet er vor. „Ein Kind, das auf hohem Niveau Handball spielen möchte, muss sich über die Eltern an den Kosten beteiligen.“ Dass mancher darüber klagt, kann er nur bedingt nachvollziehen. Verglichen mit den Preisen für einen Kinobesuch, eine Musikoder Tanzschule hält er die Gebühren im MTV Jever für moderat: „Als Sportverein streben
wir ja keine Gewinnmaximierung an, sondern möchten über angemessene Beiträge das Leistungsangebot erhalten und erweitern.“
Während Jan Unger sich um die Entwicklung des Vereins bei den Erwachsenen und Senioren keine Sorgen macht, da man sich hier Schritt für Schritt den Gegebenheiten anpassen könne, bereitet ihm die Einführung der Ganztagsschule Kopfzerbrechen. Zwar ist der MTV früh Kooperationen mit verschiedenen Schulen eingegangen und beteiligt sich hier an den Nachmittagsstunden. Wirklich profitieren würden Sportvereine dabei indes nicht, fürchtet Unger: „Wir graben uns selbst das Wasser ab und können uns dennoch nicht erlauben wegzubleiben, weil wir die Kinder sonst gar nicht mehr erreichen.“ Ihn ärgert, dass die Vereine die Nachmittagsbetreuung in den Schulen mit sicherstellten, ber nicht angemessen dafür honoriert würden, weil den Schulen dafür die Mittel fehlen. Und so setzt der MTV auf weitere eigene Initiativen, um neue Mitglieder zu gewinnen, organisiert Schulsportund Spielfeste, Tischtennis-MiniWettbewerbe, lädt zum Familientag oder zum Schnuppertraining in den Gerätepark.
Viele kleinerer Vereine werden verschwinden
Ermöglicht werden solche Veranstaltungen durch etwa 130 überwiegend ehrenamtliche Helfer, nicht zuletzt aber auch durch eine Geschäftsstelle, die insgesamt drei Angestellte hat. Vereine, die
nicht über diese Ressourcen verfügen, werden es immer schwerer haben, glaubt Jan Unger. Die Zukunft vieler Sportvereine entscheidet sich
über das Personal, das Angebot und über die Kosten, ist er überzeugt: „Viele Mitglieder erwarten die Leistungen eines kommerziellen Anbieters zu den Beiträgen eines gemeinnützigen Vereins.“ Langfristig sei deswegen auch zu befürchten, dass „viele kleinere Vereine aus der Sportlandschaft verschwinden.“ Die einzige Möglichkeit, diesem Trend zu begegnen, sei, sich am Markt zu orientieren, rät er: Jeder Verein müsse „seinen Einzugsbereich und die Bevölkerungsstruktur genau kennen,“ um mit entsprechenden Angeboten reagieren zu können. Mit seinem Konzept „MTV 2000“ hat der MTV Jever daher bereits Ende der 1980er-Jahre angefangen, sich den Veränderungen anzupassen.

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