Von der Urlauberin zur tragenden Säule
Die heute 34-Jährige machte ihr Hobby zum Beruf. Ein Rat von Rudi Assauer gab dabei den Anstoß. VON JENS SCHIPPER
JEVER – Sich selbst durch die Luft zu schleudern, und das aus eigener Kraft, das ist es, was Jeanette Weigert schon immer am Turnen fasziniert. Seitdem sie drei Jahre alt ist, steht bei der heute 34-Jährigen das Turnen mehr oder weniger im Mittelpunkt. Von dieser Sportbegeisterung profitiert seit 2012 auch die Turnabteilung des MTV Jever, der bis dato die fachliche Kompetenz für diese Sparte fehlte, mittlerweile sich aber dank Weigert im stetigen Aufschwung befindet – und mittendrin ihre beiden Töchter Paula und Hannah.
Bewegungstalent in die Wiege gelegt
Jeanette Weigert, die aus dem westfälischen Herten stammt, ist ein klassisches Sporttalent. „Ich habe immer alles ausprobiert“, sagt die sympathische Turnerin, die gewisses Bewegungstalent wohl in die Wiege gelegt bekommen hat. „Meine motorischen Fähigkeiten waren wunderbar geschult“, erklärt sie weiter. Die Treue hielt sie dennoch immer dem Turnen. Doch damit nicht genug: Bereits mit jungen Jahren brachte sie sich bei ihrem Heimatverein DJK Herten ein und unterstützte die Nachwuchsarbeit aktiv. Den größten sportlichen Erfolg feierte Weigert im Alter von 13 Jahren. Als damalige Schülerin des städtischen Gymnasiums in Herten schaffte es Weigert bei „Jugend trainiert für Olympia“ bis nach Berlin zum Bundesfinale und verpasste dort das Treppchen nur knapp. Um ihr Turntalent weiter zu fördern, nahm sie am Fördertraining des TuS Herten teil.
Rudi Assauer rät vom Lehramt-Studiums ab
Eigentlich wollte Jeanette Weigert nach ihrem Freiwilligen Sozialen Jahr (FSJ) mit 21 Jahren dann ein Lehramts- Studium beginnen. Doch davor bewahrte sie ein gewisser Rudi Assauer – ein alter Bekannter ihres Vaters. Der ehemalige Bundesliga-Profi des SV Werder Bremen und langjähriger Vereinsmanager des FC Schalke 04, der auch aus Herten stammt, wollte die Tochter seines alten Fußballfreund für den Heimatverein gewinnen. „Das geht so nicht. Wir brauchen dich für unsere Physiotherapie“, sagte Assauer damals zu Weigert, die nämlich interessierte sich schon immer für Formen und Abläufen von körperlichen Bewegungen bei Menschen. Diese Worte nahm sich sie zu Herzen und begann anschließend eine Ausbildung zur Physiotherapeutin.
Diese Entscheidung erwies sich als richtig. „Das hat mir richtig Spaß bereitet“, erinnert sich Weigert gern zurück, die es nach ihrer Ausbildungszeit weiter nach Neuss in ein Krankenhaus zog. „Ich wollte einfach mehr wissen was dahinter steckt, sprich wissenschaftlicher arbeiten“, erklärt sie weiter und nahm dort unter anderem an verschiedenen Studien teil und bildete sich somit immer weiter. Das Turnen war dabei ein ständiger Begleiter. Denn die ausgelernte Physiotherapeutin setzte sich unter anderen mit dem Thema „wie kann man Turnen gesundheitsfördernder betreiben“ auseinander. Allerdings litt das aktive Turnen darunter. „Die Zeit fehlte einfach.“ Bei der Arbeit im Krankenhaus lernte Jeanette Weigert dann auch ihren späteren Ehemann Ulrich kennen. Zusammen mit ihm reiste sie dann auch später erstmals an die friesische Nordseeküste, um in Hooksiel Urlaub zu machen.
Über Jüchen und Hooksiel nach Jever
Nächster längerer Halt nach Neuss war für die beiden dann Jüchen bei Bergisch Gladbach, wo im Jahre 2008 auch standesamtlich geheiratet wurde. In einer Praxis, die von zwei ehemaligen Fußballern des niederländischen Erstligisten PSV Eindhoven geführt wurde, heuerte sie an. „Verletzungsbedingt mussten die beiden ihre Karriere früh beenden und haben Wege für sich gesucht, um Leistungssport dann weiter in physiologischer Sicht zu betreiben.“ Ein Jahr später erwarteten die Weigerts dann ihr erstes Kind Paula. Dies sahen die beiden dann als Chance, um in den hohen Norden zu ziehen und dort endgültig sesshaft zu werden. Aufgrund der Urlaubsreisen nach Hooksiel hatte die Familie bereits mit einem Ferienhaus geliebäugelt – woraus mehr wurde. Denn nur ein Jahr später stand der Ortwechsel an die Nordseeküste an. Zunächst lebte die Familie in Hooksiel, später dann aufgrund der besseren Infrastruktur in Jever. Bevor es aber soweit war, hatte sich Jeanette Weigert, die sich selber als durchgeplanter Mensch sieht, schon im Vorfeld heimlich über die Turnmöglichkeiten im friesischen Landkreis informiert – damit der eigene Nachwuchs dann auch in der neuen Umgebung irgendwann in die Fußstapfen der Mutter treten kann. Überzeugungsarbeit mussten sie bei ihrem Ehemann dabei aber nicht leisten, denn auch der spätere Facharzt für Orthopädie und Unfallchirurgie befand den späteren Sportwunsch seiner Kinder als gut.
Ein Glücksfall für Verein und Schule
Im gleichen Atemzug mit dem Umzug nach Jever, stellte sich Jeanette Weigert – das zweite Kind Hannah war übrigens auf dem Weg – beim MTV Jever vor und bot ihre Hilfe an. „Und dann hat sich das alles so schnell entwickelt“, berichtet sie und lacht. Denn nachdem die Wohnortfrage endgültig geklärt war, sehnte sich Weigert förmlich nach ihrem geliebten Gerätturnen. Neben dem MTV Jever, der die Physiotherapeutin gleich als Vorsitzende in der Turnsparte installierte, war auch das Mariengymnasium (MG) froh, dass sich mit der gebürtigen Hertenerin eine ehemalige Leistungsturnerin vor Ort meldete. „Denn auch das MG hatte aufgrund des Curriculums einen gewissen Notstand.“
Der nächste Schritt war dann ein Etatplan, der vom Landkreis und dem MTV aufgesetzt und koordiniert wurde. Ein Konzept, das voll aufging (siehe Artikel unten). „Ich bin voll durchgestartet.“ Denn in der ersten Trainingsstunde begrüßte Weigert gerade einmal fünf Turnerinnen. Heute – fast drei Jahre später – sind es laut der 34-Jährigen um die 100 Kinder in der Woche, die im Turnsport beim MTV aktiv sind. „Plus jugendliche Helfer, die mit der Zeit dazu gekommen sind. Obwohl sie früher gar keinen Bezug zum Turnen hatten“, erklärt Weigert begeistert. Dabei ertappt sie ihre Helfer auch schon gelegentlich mal, wie sie sich selbst an den Geräten ausprobieren. Auch der Turnkreis Friesland wurde auf die erfolgreiche Arbeit der MTV-Trainerin aufmerksam und übertrug ihr kurzerhand auch den Posten als stellvertretende Jugendwartin im Kreisverband.
Abteilung soll eigenständig funktionieren
Mit der Anschaffung der großen Bodenturnfläche erfüllte sich für die heute dreifache Mutter – Sohn Jakob kam dazu – persönlich ein langersehnter Wunsch: „Erst jetzt können wir richtig mit dem Gerätturnen beginnen.“ Die vergangenen Jahren sieht sie mehr als Startphase. Langfristig soll die Turnabteilung allerdings eigenständig funktionieren. „Aktuell steht und fällt sie noch mit mir. Ich möchte nachhaltig arbeiten. Das ist mein Ziel.“
Fünf angefangene Sätze, vollendet von Jeanette Weigert
Wenn es kein Turnen gäbe, würde ich... mich vermutlich vielmehr mit der Medizin beschäftigen. Ich würde versuchen, verschiedene Trainingsprozesse wissenschaftlich nachzuweisen.
Turnen ist für mich Sportart Nummer eins, weil... es alle motorischen Bewegungsformen beansprucht und weil man sich aus eigener Kraft durch die Luft schleudern kann.
Mein größter Moment als Turnerin war... der vierte Platz in der Einzelwertung beim Bundesfinale in Berlin.
Die Arbeit mit der Jugend bereitet mir Freude, weil... es auf gegenseitiger Anerkennung und Respekt beruht.
Meine Schwächen sind, dass... ich auch ungeduldig sein kann und Dinge daher lieber direkt zum Abschluss bringe, anstatt auf Ergebnisse zu warten.